Freie Software im Empire

Stefan MeretzMail link, Uli WeißMail link, Benni BärmannMail link

Im folgenden sind die Folien von Stefan Meretz und Uli Weiß dokumentiert, die zu diesem Workshop vorbereitet wurden. Ein weiterer Beiträge zum Workship war von Willi Hajek vorbereitet worden.

Stefan Meretz: Zum "Empire" von Michael Hardt und Toni Negri -- Eine Einführung anhand der wichtigsten Begriffe

Empire

Multitude (Menge)

Biomacht - Biopolitik

Formelle und reelle Subsumtion

Immanenz - Transzendenz

Zwei Spielarten der Moderne

Souveränitätsmaschine

Informationelle Ökonomie

Die Pyramide

Generation und Korruption

Die drei Rechte

Uli Weiß: Neue Gesellschaft denken

Gedanken aus Empire

UW: Absorption des (wertrelevanten) Lebens durch individuelle (Selbst-)Kontrolle drängt jede unmittelbare Lebensregung zur Begründung einer solchen Praxis, die eine Keimform der Aufhebung von Wertvergesellschaftung ist = Revolution

neue Gesellschaft durch Klassenkämpfe?

die Praxis freier Software

Charakteristika einer Ökonomie des Schenkens und Nehmens

Ökonomie des Schenkens und Nehmens als untergeordnete menschliche Basis der Gesellschaft

Ökonomie des Schenkens und Nehmens als potentiell geschichtsmächtige Kraft

  1. tayloristisch-fordistische Strukturen ist aufgelöst oder auflösbar
  2. dramatische Änderungen im Charakter der Arbeit (allgemeine, schöpferische, virtuelle Arbeit wird bestimmend)
  3. gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit reduziert sich drastisch = gesellschaftlicher Reichtum ist nicht mehr Funktion der verausgabten Arbeitszeit, sondern der Entfaltung von Individualität der unmittelbaren Produzenten und deren Fähigkeit zu selbständiger sozialer Kooperation
  4. Wertproduktion verliert ihre zivilisatorische Potenz; ein Menschheitstraum wird realisierbar: reiche Bedürfnisbefriedigung bedarf nicht mehr der knechtenden Formen einer das ganze Leben ausfüllenden (Lohn-)Arbeit
  5. die alte bürgerlich-proletarische Arbeitsmoral zerfällt

noch marginal aber doch verbreitet drängen Menschen nach neuen Lebensformen

Der "Einsatz ist die Lebensform"

Systemsprengende Parallelität von prä- und postkapitalistischen Lebenspraxen

  1. russische Bauern seien geborene Sozialisten, können aber selbst keine sozialistische Gesellschaft begründen; der fortschreitende Kapitalismus zersetzt diese, die Verteidigung der Mir erscheint reaktionär
  2. die eine aus dem Kapitalismus hervorgehende und siegreiche westeuropäische Arbeiterbewegung kann jedoch den schlummernden sozialistischen Potenzen der Mir Geschichtsmächtigkeit verleihen; Kraft der historische Parallelität kann die Mir zur Konstitution einer neuen Gesellschaft befähigt werden

Empire hilft neue Gesellschaft zu denken, wenn...

Handlungsoptionen

  1. Lebensperspektive nicht mehr an die Verteidigung alter Kapitalismus- und Staatsformen binden, sondern an Schritte zu deren Aufhebung
  2. an jedem Punkt Lebensinteressen gegenüber dem "Es muss sich rechnen" zur Geltung bringen
  3. zugleich alle dem Kapitalismus (noch) möglichen und einst erkämpften Möglichkeiten (alle Alimentierungsformen, auch Einkommen durch Lohnarbeit) nutzen, um so weit wie individuell oder kollektiv möglich, aus der kapitalistischen (Wert-)Form aus- und in die Bedürfnisbefriedigung in der Form freier Assoziationen einzusteigen
  4. neu entstehende Möglichkeiten, Produkte und Fähigkeiten, die noch in kapitalistischer Form entwickelt, direkt zur Bedürfnisbefriedigung einzusetzen
  5. innerhalb freier Assoziationen und in ihren Vernetzungen alle bürgerliche Verrechtlichung und sonstige Entfremdungsformen zugunsten von Lebensformen des Schenkens und Nehmens aushebeln
  6. die damit verbundene Zerrissenheit der Individuen voll annehmen; einen offenen Diskurs über Lebensformen, über menschliche Bedürfnisse, über Maßstäbe des materiellen und kulturellen Reichtums führen

Einwände

Antworten

Benni Bärmann: Freie Software im Empire

Seit einiger Zeit sorgt ein Buch für ziemlich großes Aufsehen, nämlich Empire von Michael Hardt und Antonio Negri. Spätestens seit dem die deutsche Übersetzung erschienen ist, gibt es auch hierzulande einen regelrechten Hype um das Buch und inzwischen kann man auch schon einen Gegen-Hype feststellen, weil am laufenden Band Verrisse erscheinen. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen wiedergeben, wer sich dazu ein Bild machen will, sollte vielleicht einfach mal mit Empire, Negri und Hardt googlen und wird genügend Lesestoff finden. Alle Seitenangaben im Folgenden beziehen sich auf die deutsche Ausgabe.

Nachdem ich das Buch tatsächlich gelesen habe (Uff!), möchte ich einfach mal ein paar Punkte in die Runde werfen, von denen ich denke, dass sie für unsere Diskussion interessant sein könnten um so eine hoffentlich rege Diskussion anzustoßen, explizit auch mit denen, die das Buch nicht gelesen haben. Das werden ja die meisten sein, alleine schon, weil es fette 450 Seiten mitbringt. Deswegen auch zuerst eine

ultrakurze Zusammenfassung.

Empire ist die Beschreibung für die Weltordnung in der wir leben. Die Macht hat kein Zentrum mehr, sie ist vielmehr überall, sie durchzieht unser Leben als Biomacht, die Nationalstaaten verlieren an Bedeutung, Kriege werden zu Polizeiaktionen, es wird immateriell und vernetzt produziert. Die Institutionen der Disziplinargesellschaft (Schule, Gefängnis, Klinik, ...) verlieren ihre Begrenzung und werden über die ganze Gesellschaft ausgedehnt und daraus bildet sich die allgegenwärtige Kontrollgesellschaft. Das Empire kennt kein Außen mehr, es umfasst die ganze Welt, das ganze Leben.

Dennoch ist seine Macht nur scheinbar. Das Empire kann immer nur reagieren auf die Aktionen der Multitude (Menge, Vielheit). Sie ist es, die kreativ und produktiv ist und dadurch das Empire erst erschafft. Das Empire ist nichts ohne die Multitude.

Da es kein Außen mehr gibt ist jede Politik, die sich auf einen Standpunkt außerhalb des Empire bezieht verfehlt, statt dessen gilt es die Multitude zu sich selbst kommen zu lassen und so das parasitäre Empire abzuwerfen und den Kommunismus zu erreichen. Dies geschieht im Prozess der Durchsetzung dreier Rechte, die da sind: Weltbürgerschaft, sozialer Lohn und Wiederaneignung.

Soweit meine Extrem-Eindampfung. Im folgenden will ich auf ein paar Aspekte näher eingehen, die für die Oekonux-Diskussion besonders interessant sind.

Immaterielle Arbeit

In der Postmoderne hat sich die Produktionsweise verändert, sie wird zunehmend immateriell. Es gibt drei Typen immaterieller Arbeit:

Die Gemeinsamkeit dieser drei Typen beschreiben Hardt und Negri so:

In jedem dieser Typen der immateriellen Arbeit steckt die Kooperation bereits vollständig in der Form der Arbeit selbst. Immaterielle Arbeit beinhaltet unmittelbar soziale Interaktion und Kooperation. Der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit wird mit anderen Worten nicht von außen aufgezwungen oder organisiert, wie es in früheren Formen von Arbeit der Fall war, sondern die Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent. (...) Heute haben Produktivität, Reichtum und das Schaffen eines gesellschaftlichen Surplus die Form der kooperativen Interaktion angenommen, die sich sprachlicher, kommunikativer und affektiver Netzwerke bedient. Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit. (S. 305)

Die Kommunikationstechnologien - allen vorran das Internet - führen zu einer Dezentralisierung dieser informationalisierten Produktion. Zentralisiert wird hingegen die Kontrolle über die Prozesse in den neuen global citys.

Das neue an der neuen Informationsinfrastruktur ist die Tatsache, dass sie in die neuen Produktionsprozesse eingelassen und ihnen vollständig immanent ist. Information und Kommunikation führen die heutige Produktion an, und sie sind die eigentlich produzierten Waren; das Netzwerk selbst ist Ort der Produktion wie der Zirkulation. (S. 310)

Dies alles kumuliert in: Die Begründung des Privateigentums, dieses Begriffs der klassischen Moderne, löst sich so in der postmodernen Produktionsweise in gewisser Hinsicht auf. (S. 313)

Das alles sind ganz ähnliche Gedanken, wie sie im Oekonux-Projekt entwickelt wurden. Die Formel Freie Software = Selbstentfaltung + Internet bezeichnet etwas ganz ähnliches. Produktion und Distribution fallen im Internet zusammen, aus Produzenten und Konsumenten werden Prosumenten, Selbstentfaltung wird zur Produktivkraft, Selbstentfaltung und Selbstverwertung stehen im Widerspruch (Vorsicht: in Empire wird Selbstverwertung anders verwendet als bei uns, eher in Richtung Selbstentfaltung), Intellectual Property Rights sind absurde Versuche Verwertung wieder einzuführen und dies alles ist eine Keimform für eine nicht-wertförmig organisierte Gesellschaft. Zur netzwerkartigen Produktionsweise Freier Software hab ich ja andernmails gerade etwas geschrieben.

Was ich aber am Ansatz der immateriellen Arbeit bevorzuge ist seine größere Reichweite. Er bezeichnet eine ganze Palette von Phänomenen und Freie Software ist unter dieser Perspektive nur noch ein weit fortgeschrittenes Beispiel einer umfassenderen Sicht. Besonders deutlich wird das im Fall der affektiven Arbeit. Während wir die beiden anderen Typen immaterieller Arbeit schon ausführlich diskutiert haben, kam affektive Arbeit bisher bei uns kaum vor. Interessant wären dabei zwei Fragen, nämlich einmal wo in der Produktion Freier Software affektive Arbeit auftritt (Tux, M$-Bashing, Hackerkultur, ...) und zum anderen, wo es im weiten Feld affektiver Arbeit Projekte gibt, die ähnlich arbeiten wie Freie Software. Auch ein weiterer Grund, sich Freie Musik (oder Filesharing als Vorform davon) nochmal ganz genau anzugucken.

Wenn wir also ernsthaft an der Frage arbeiten wollen ob die Prinzipien der Entwicklung Freier Software eine neue Ökonomie begründen können, die als Grundlage für eine neue Gesellschaft dienen kann (siehe www.oekonux.deLocal link), ist es meiner Meinung nach angesagt nicht nur unsere theoretische Sichtweise auf Freie Software zu versuchen zu verallgemeinern, sondern auch umgekehrt umfassendere Sichtweisen auf das Beispiel Freie Software zu spezialisieren. Und Immaterielle Arbeit bietet da eine hervorragende theoretische Herangehensweise, denke ich.

Wertkritik und (Post-)Operaismus

Wie ich gerade gelernt habe (nicht aus Empire, sondern von meinem Freund Bodo) scheint es im neueren Marxismus zwei Traditionen zu geben, eine wertkritische und eine operaistische. Empire ist sozusagen die aktuellste Version der operaistischen Sicht, diese Richtung wird meist als Postoperaismus bezeichnet, weil sie zusätzlich Gedanken von postmodernen Philosophen benutzt. Krisis ist ein bei uns bekannter Vertreter der wertkritischen Sicht. Worin unterscheiden sich diese beiden "Schulen"?

Für die wertkritische Schule ist die treibende Kraft hinter dem Kapitalismus das Wertgesetz. Ein abstrakter Mechanismus regiert die Menschen. Alles ordnet sich dem Gesetz aus Geld mehr Geld zu machen unter. Stefan Meretz nennt das immer die kybernetische Maschine.

Ganz anders die Operaisten: Für sie ist die Geschichte immer eine Geschichte sozialer Kämpfe. Es sind immer "die Leute", "das Proletariat" oder eben "die Multitude" die agieren und alle Veränderungen bewirken. Wenn auch - und das ist wichtig - unter nicht von ihnen gewählten historischen Bedingungen. Das Kapital oder eben das Empire reagieren nur, passen sich an, um ihre Herrschaft aufrecht erhalten zu können.

Bei Marx finden sich wohl beide Sichtweisen (sagt Bodo, ich selbst hab fast keinen Marx gelesen) und tatsächlich erscheint es mir ziemlich offensichtlich das in einem noch näher zu bestimmenden Sinn beide Sichtweisen "richtig" sind. Darin spiegelt sich wohl letztlich die Verfassung des Menschen als ein Wesen, dass einerseits die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt aber eben auch von ihnen bestimmt wird.

Etwas näher kommen wir diesen Problemen vielleicht, wenn wir uns angucken, was die spezifischen Schwächen der beiden Ansätze sind.

Um es platt zu sagen: Wertkritiker neigen dazu, zu schwarz zu sehen. Das allmächtige Wertgesetz hat uns fest im Griff und ein Aussteigen ist zwar theoretisch möglich aber man wird immer den Eindruck nicht los, dass es von Aufsatz zu Aufsatz, von Gedanke zu Gedanke schwieriger wird. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass sie ihre Analyse von einem äußeren Standpunkt, der sozusagen außerhalb des Wertsystems steht und von dem aus man vermeintlich die Wahrheit erkennen kann aus starten und dann nach und nach feststellen, das ihnen dieser äußere Standpunkt immer mehr unter den Füßen wegrinnt. Bei Krisis kann man das momentan erkennen, wenn sie den Begriff des Subjekts kritisieren (siehe http://www.opentheory.org/subjekt3/text.phtmlRemote link). Am Schluss bleibt nur noch radikale und fundamentale Kritik als Selbstzweck. Keimformen sind so nicht denkbar, weil letzten Endes schon der Gedanke daran zwingend korrumpiert ist.

Um es genauso platt zu sagen: Postoperaisten neigen zur Blauäugigkeit. Noch der kleinste Seufzer wird in ihren Augen zum Akt des Widerstands überhöht.

Auf theoretischer Ebene könnte man sie möglicherweise ganz ähnlich kritisieren, wie das Stefan in seinem Dschungel der Kooperation (http://www.opentheory.org/dschungel/text.phtmlRemote link) mit der Freien Kooperation getan hat. Auch hier gewinnt man manchmal den Eindruck, dass die gesellschaftliche Ebene die es noch jenseits der Kooperationen und Institutionen gibt und die sich eben im Kapitalismus unter anderem im Wertgesetz zeigt, manchmal aus dem Blick gerät. Es wird nicht sichtbar, welche Aktionen der Multitude dazu geeignet sind, das Wertgesetz (oder auch das Patriarchat oder jedes andere fundamentale Herrschaftsverhältnis das nicht erschöpfend durch Institutionen beschreibbar ist) zu knacken und welche zu seinem Erhalt beitragen. Beim Lesen von Empire hatte ich jedoch das erste Mal das Gefühl, dass dort tatsächlich an der Lösung dieser Probleme gearbeitet wird. Allerdings blieb viel von diesen Versuchen für mich noch dunkel. Es ist viel die Rede vom Begriffspaar Immanenz/Transzendenz. Es wird betont, dass das Empire einerseits aus seiner Eigenlogik heraus zu immer mehr Immanenz strebt aber andererseits auf Transzendenz zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft angewiesen ist. Aus diesem Widerspruch speist sich die Möglichkeit zur Überwindung des Empire.

Bei Oekonux haben wir traditionell mehr mit dem wertkritischen Ansatz gearbeitet und ich will deswegen mit diesem Text auch ein bisschen Werbung für die andere Seite machen.

Meiner Meinung nach passt der Postoperaismus eigentlich besser zu Oekonux, weil ja der Selbstentfaltungs-Begriff und seine Herleitung aus der kritischen Psychologie, genau auf der spezifischen Möglichkeitsbeziehung des Menschen zur Welt aufbauen, also auf den Aktionsmöglichkeiten des Einzelnen, was doch prima zum Operaismus passt, während die Wertkritik sich da ein bisschen sperrt (insofern ist die Ablehnung der kritischen Psychologie durch das Krisisumfeld vielleicht nicht nur persönlichen Vorlieben geschuldet, sondern folgerichtig).

Die drei Rechte

Am Schluss des Buches gibt es ein Kapitel, das beschreiben soll, wie das Empire untergehen wird oder vielmehr bereits schon untergeht. Die Multitude kommt zu sich selbst, wird sich ihrer bewusst und entledigt sich der parasitären Herrschaft des Empire. Dies geschieht im Prozess der Durchsetzung dreier Rechte. Der Begriff des Rechts ist dabei mit vorsicht zu genießen, da es in diesem Fall nicht wirklich einen Adressaten gibt, von dem man diese Rechte einfordern könnte. Das Empire taugt ja mangels Zentrum gerade nicht als Adressat. Es geht also auch hier wohl eher um einen netzwerkartig verlaufenden Prozess. Was haben diese drei Rechte mit unserer Debatte zu tun?

Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sondern wird auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind. In diesem Zusammenhang bedeutet Wiederaneignung, freien Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information, Kommunikation und Affekte zu haben

Freie Kooperation und Empire

Wir haben ja über Christoph Spehrs Konzept der Freien Kooperation in der Vergangenheit viel und ausführlich diskutiert. Deswegen will ich kurz versuchen dieses Konzept mit Empire zu vergleichen. Zunächst einmal stechen die Ähnlichkeiten ins Auge. Beide Konzepte gehen von einer radikalen Immanenzperspektive aus. Es gibt kein Außen. Kein höheres Gesetz das unser Handeln leitet, sondern Geschichte entwickelt sich in sozialen Kämpfen. Dennoch gibt es natürlich auch wichtige Unterschiede.

Freie Kooperation geht in einem gewissen Sinne weiter als Empire, weil konkrete Bedingungen genannt werden nach denen man entscheiden kann, ob Kooperationen erzwungen oder Frei sind. Die drei Rechte ergeben sich dann eher folgerichtig aus diesen Überlegungen zusammen mit noch einigen anderen. Wie immer wenn man konkret wird, bietet man natürlich auch eine größere Angriffsfläche, so haben sich ja viele der Kritiken an Freier Kooperation, die wir diskutiert haben vor allem an diesen konkreten Kriterien orientiert und diese als systemkonform ausgemacht. Das ist ein prinzipielles Problem mit der Immanenzperspektive, denke ich und zu Empire wird man ähnliches sagen können (und manche der am wenigsten inspirierenden Verrisse haben genau das getan). Ich denke jedoch auch, dass es keine Alternative zu dieser Perspektive gibt, wenn man irgendeine praktische Bedeutung entfalten will.

Empire geht in einem gewissen Sinne aber auch weiter als Freie Kooperation. In Software-Engineering-Sprache gesprochen ist Freie Kooperation der Bottom-Up-Ansatz, während Empire nach dem Top-Down-Prinzip funktioniert. Freie Kooperation hat gesamtgesellschaftliche Verhältnisse nur als Kooperation von Kooperationen von Kooperationen im Blick, was deren Analyse manchmal erschwert. Empire funktioniert umgekehrt. Von den globalen juridischen, ökonomischen und politischen Verhältnissen wird die Macht der Multitude abgeleitet. Das gewährleistet einen besseren Blick auf die globalen Phänomene aber naturgemäß bleibt die Sicht auf die Alltagsphänomene etwas unscharf und eben "von oben herab".

In Christophs Buch Die Aliens sind unter uns findet sich ja neben dem Konzept der Freien Kooperation, das dort eher am Rande behandelt wird, auch eine ausführliche Diskussion aktueller Herrschaftsverhältnisse. Wenn man die dort beschriebenen "Zivilisationen" (Aliens, Zivilisten, Maquis, Faschisten) mit den in Empire beschriebenen Kategorien in Verbindung bringt, ergibt sich für mich folgendes Bild: Die Aliens sind eigentlich identisch mit dem Empire, Maquis und Zivilisten bilden die Multitude und der Faschismus kommt nicht wirklich in mehr als einer Nebenrolle vor. Darin liegt für mich auch eine besondere Stärke des Konzeptes der Zivilisationen. Zur Multitude gehört man immer irgendwie dazu und muss sich nicht mal besonders anstrengen während Christoph den Moment der Wahl, zum Maquis zu gehen oder eben Zivilist zu bleiben, betont. Natürlich ist an beiden Sichtweisen was dran, nur in Empire wird letzteres oft etwas unterschätzt und vielleicht ergibt sich gerade daraus der Eindruck der Blauäugigkeit und des übertriebenen Optimismus, den viele beim Lesen des Buches haben.

Fazit

Empire wimmelt von Anknüpfungspunkten an unsere Diskussion und deswegen kann ich jedem nur empfehlen sich durch das Buch durchzuwühlen. Aber auch ohne das alle das Buch gelesen haben, könnten wir ja trotzdem vielleicht manche der Sichtweisen, die dort aufgezeigt werden verstärkt in unserer Diskussion berücksichtigen. Das würde mich freuen. Gerade eben hab ich eine Mail gekriegt, dass die WAK-Leute einen Workshop zu Empire auf dem Kongress planen. Scheinbar haben also auch schon andere die Relevanz des Buches für unsere Diskussion entdeckt. Für mich noch ein Grund mehr, mich auf Berlin zu freuen.


Dieser Text kann unter http://www.opentheory.org/fs_empire/Remote link diskutiert werden.